Es gibt keine automatischen Verlierer: Tobias Kube über die BPS-Jurierung

Datum: 4. Juni 2014
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature

Es gibt nichts, was ein Team tun kann, wodurch es eine Debatte im Format British Parliamentary Style (BPS) automatisch gewinnt oder verliert. „Klar“, mögen sich die meisten Leser nun denken. So wird es schließlich auf jedem Jurierseminar gelehrt und mitunter auch bei der Einführung vor einem Turnier von den Chefjuroren betont. In ihrem Jurorenleitfaden für die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft (DDM) weisen die Chefjuroren ebenfalls auf diesen Punkt hin. Und doch hört man im Feedback immer wieder Begründungen für ein Ranking wie „Weil ihr X gemacht/ nicht gemacht habt, mussten wir euch leider den vierten Platz geben“. Gibt es also doch irgendwelche Dinge, die eine bestimmte Platzierung automatisch bedingen würden? Nein, so sollte nicht juriert werden und daher möchte ich mit diesem Beitrag dafür sensibilisieren, alle Gut- und Schlechtleistungen der Teams in die holistische Bewertung mit einzubeziehen. Drei Beispiele von recht häufig auftretenden Situationen mögen zur Illustration dienen (es gibt auch andere, z.B. teaminterne Widersprüche, die einige Juroren dazu veranlassen, ein Team automatisch auf den vierten Platz zu setzen).

(c) Jöran Beel

(c) Jöran Beel

„Es gewinnt das Team, dessen Haupt- argument relevant und unwiderlegt bleibt“

Einige Juroren beschreiben ihre Vorgehensweise bei der Erstellung eines Rankings folgendermaßen: „Gewonnen hat der, dessen Hauptargument am Schluss noch steht, also unwiderlegt und immer noch relevant ist“. Das mag zwar häufig zutreffen, sollte meines Erachtens als oberste Regel zur Ergebnisfindung in dieser automatistischen Form allerdings zurückgewiesen werden. Denn es muss berücksichtigt werden, dass das Team, dessen Hauptargument unwiderlegt und relevant bleibt (was zweifelsfrei stark positiv in der Bewertung zu berücksichtigen ist), auch viele andere Dinge schlecht machen kann und damit an Überzeugungskraft einbüßt. Beispielsweise ist denkbar, dass es die Argumente der Gegenseite überhaupt nicht würdigt, ein Redner seine Rolle komplett verfehlt oder das Team alle Fragen der Gegenseite abblockt. All diese Faktoren müssen bei der Urteilsfindung berücksichtigt und abgewogen werden. Im Übrigen sollte umgekehrt ein Team natürlich auch nicht automatisch die Debatte gewinnen, wenn es den Hauptpunkt des ansonsten stärksten Teams widerlegt. Auch dieses Team kann viele andere Dinge schlecht machen, die es in die Jurierung einzubeziehen gilt.

Jetzt aber wirklich: Schluss mit dieser „Bei euch stand einfach nichts mehr“-Doktrin!

Obwohl Manuel Adams letztes Jahr in einem Mittwochs-Feature sehr gut dargelegt hat, warum eine Debatte nicht danach zu jurieren ist, welches Team durch Einführen und Entkräften von Argumenten  (er verglich dies mit dem Bauen und Zerstören von Sandburgen) nach der Debatte auf die größte Sandburg blicken kann, sind Sätze wie „Bei euch stand am Ende einfach nichts mehr“ als alleinige Begründung für einen vierten Platz noch immer nicht aus dem Feedback verschwunden. Ein Team, dessen Argumente alle widerlegt wurden, kann zwar auf dem vierten Platz landen (und häufig tut es das auch zurecht), muss es aber nicht automatisch. Wenn Team A im Alleingang alle Argumente von Team B entkräftet, sollte das nur für den Vergleich der Teams A und B relevant sein. Für die Platzierung von Team B im Vergleich zu Team C und D sollte es hingegen keine Rolle spielen, denn man sollte Team C und D nicht für eine Leistung belohnen, die Team A erbracht hat. In der Jurierung sind also die jeweiligen absoluten Beiträge für den Vergleich der Teams zueinander zu berücksichtigen (siehe hierzu auch das Jurorenbriefing bei den Worlds).

Eine Extension kann auch ohne neuen Punkt gut sein

In eine ähnliche Kategorie fällt für mich die leider auch immer wieder auftretende Situation, wenn einige Juroren Teams der schließenden Hälfte kategorisch nicht auf vordere Plätze setzen, weil diese keine eindeutig neuen Punkte präsentiert haben. Wie auch im Jurorenleitfaden der DDM ausgeführt wird, sind verschiedene Arten von Erweiterung denkbar und zu würdigen (entscheidende Analyse, die einen Mechanismus erst plausibel macht, Konkretisierung durch wichtige Beispiele, Widerlegung gewichtiger Punkte der Gegenseite etc.). Diese sind darauf zu prüfen, wie relevant und bereichernd sie für die Debatte waren und können gegebenenfalls zu einer vorderen Platzierung führen.

Ich vermute, die meisten Leser werden zustimmen, dass es falsch ist, Teams aufgrund gewisser Ereignisse automatisch auf einen bestimmten Platz zu setzen. Weil es aber dennoch immer wieder passiert, bitte ich alle, die sich dabei ertappen, so etwas in einer der geschilderten oder vergleichbaren Situationen schon einmal gemacht zu haben, in ihrer Jurierung sorgsam alle relevanten Aspekte der Debatte zu berücksichtigen und nicht vorschnell aufgrund eines Teilaspektes zu einem Ergebnis zu kommen.

Mittwochs-Feature

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Tobias Kube war Chefjuror des Streitkultur-Cups und Frischlingscups 2013 sowie des Marburger Geschichtsturniers und des Mainzer Debütantencups 2014. 2012 erhielt er den Nachwuchspreis der Deutschen Debattiergesellschaft e.V. (DDG). Er gewann mehrere Turniere der Freien Debattierliga (FDL), darunter den Brüder Grimm Cup 2014 und den Streitkultur-Cup 2013. Er ist amtierender Vizepräsident des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH) für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Derzeit studiert er Psychologie an der Philipps-Universität Marburg.

tk/kem

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4 Kommentare zu “Es gibt keine automatischen Verlierer: Tobias Kube über die BPS-Jurierung”

  1. Jonas G. (Münster) sagt:

    Grundsätzlich stimme ich dem Artikel in allen Punkten zu. Eine Frage die ich jedoch für ziemlich relevant halte, die teilweise beim Jurieren meiner Erfahrung nach vernachlässigt wird, ist ob die Teams jeweils überhaupt Argumente aufgebaut haben, die für den durchschnittlich informierten Zeitungsleser überhaupt ein überzeugendes Argument darstellen. Häufig passiert es nämlich, dass die Teams in der Debatte auf der Behauptungsebene bleiben.

  2. Florian Umscheid sagt:

    Darüber, was ein Argument ist, bestehen schon von akademischem Fach zu Fach grundverschiedene Ansichten. Es wäre einmal interessant, die verschiedenen Denktraditionen der Argumentation zu untersuchen und einen Vergleich mit im Debattieren gelehrten und geredeten Argumenten vorzunehmen.

    Kurz gefasst: Argumente sollte auftauchen, aber was Argumente sind, verdient einer Ausarbeitung.

  3. Michael (Boston) sagt:

    Florian, es ist Dir schon klar, dass diese Untersuchungen keine vage Zukunftsmusik sind, sondern dass es Bücherschränke voll entsprechender Analysen gibt, oder?
    Die Disziplin die sich damit beschäftigt heisst Argumentationstheorie und die wichtigsten Journals in denen die Ergebnisse publiziert werden sind „Argumentation“, „Argumentation & Advocacy“, „Cogency“, „Informal Logic“ und „Argumentation in Context“.

  4. Florian Umscheid sagt:

    Da wurde wohl nicht klar, was ich sagen wollte: Es hat sich mW noch niemand spezifisch mit dem Debattieren im deutschsprachigen Raum beschäftigt. Was der Debattierer oder die Debattiererin als Argument formal lernt, als Argument in der Debatte verwendet und wie das Argument ankommt, dazu wäre eine eine Analyse hilfreich.
    Das es Fachliteratur gibt, ist mir sehr klar. Wenn du, Michael, mal die oben skizzierte allgemeine Einführung für die AM schreibst, käme vielleicht eine interessante Diskussion in Gang.

Kommentare sind geschlossen.

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