„Sich in den guten Aspekten dem internationalen Debattieren annähern“: Chefjurorin Andrea Gau im Gespräch über die DDM 2014

Datum: 18. Juni 2014
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Menschen, Mittwochs-Feature

Am Pfingstmontag endete die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft 2014 (DDM), das bis dato größte Turnier in deutscher Sprache. Im Vorfeld der DDM gab es erstmals einen Jurorentest, wie er bei internationalen Turnieren üblich ist, der auch die Jurorensetzung beeinflusst hat.  Andrea  Gau, bereits Chefjurorin der vergangenen DDM in München, war mit Dessislava Kirova und Michael Saliba für die inhaltliche Leitung des Turniers verantwortlich. Die Chefjury, die nach einem offenen Bewerbungsverfahren zusammengesetzt wurde, bestand damit aus drei sehr erfahrenen Chefjuroren. Mit der Achten Minute sprach Andrea über Herausforderungen bei der Themenfindung, die Internationalisierung der DDM und darüber, was für eine Chefjuroren-Karriere wichtig ist.

Achte Minute: Andrea, was hast du gemacht, um dich von der DDM zu erholen?
Andrea Gau:
Ich habe ganz viel geschlafen. Dennoch hatte ich nach der DDM drei bis vier Tage Debattier-Kater, der erst am Wochenende wegging. Dessi, Micha und ich trafen uns die nächsten zwei Tage übrigens noch zufällig mitten in der Nacht beim Facebook-Chat. Wir waren es so gewohnt, spät nachts miteinander zu schreiben, dass das wohl unterbewusst noch drin war.

AM: Bei der DDM gab es dieses Jahr einige Neuerungen aus dem internationalen Bereich, etwa den Jurorentest. Wird die DDM immer mehr wie die Weltmeisterschaft?
Andrea:
Ich hoffe, dass die DDM sich in den guten Aspekten dem internationalen Debattieren annähern wird. Dazu zählen vor allem die Professionalisierung der Jurierung, die Sicherstellung guter Themensetzungen und das Engagement der Chefjurys. Es würde mich freuen, wenn diese Dinge Schule machen und etwas Willkür aus den Prozessen, insbesondere der Jurorensetzung und dem Jurorenbreak, genommen wird. Manches innerhalb der deutschen Szene ist aber sehr positiv und sollte bewahrt werden, etwa die Familiarität zwischen den Debattierern. Wir sind nicht so riesig, dass man nicht mit jedem Anliegen an die Chefjury herantreten kann. Außerdem sind bei uns Hierarchien weniger ausgeprägt, erfahrene und unerfahrene Debattierer sind stärker durchmischt und es gibt meiner Ansicht nach einen größeren Zusammenhalt.

AM: Mit Michael und Dessi hattest du zwei Juroren im Panel, die besonders im internationalen Bereich Erfahrung haben. Warst du so etwas wie der deutsch-konservative Gegenpol?
Andrea:
Nein. Auch ich habe auf einigen internationalen Turnieren debattiert, genauso wie Dessi und Micha jahrelange Erfahrung im deutschen BPS [British Parliamentary Style, Anm. d. Red.] haben. Deshalb kennen wir alle die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem internationalen Debattieren sehr gut. Bei unserer Arbeit hat es keine Rolle gespielt, ob man eher deutsch oder international geprägt ist – wir haben alle diesbezüglich strittigen Fragen danach entschieden, welche Vorgehensweise uns am sinnvollsten erschien.

AM: Du bist zum zweiten Jahr in Folge Chefjuror (CJ) der DDM, in den vergangenen beiden Jahren hat Lukas Haffert den CJ-Panels angehört. Sollte auch nächstes Jahr jemand im Panel sitzen, der bereits DDM-Erfahrung hat?

Andrea Gau auf der DDM 2014 in Berlin (c) Henrik Maedler

(c) Henrik Maedler

Andrea: Den CJ einer vergangenen DDM im Panel zu haben, ist keine Notwendigkeit, aber es ist natürlich sinnvoll, ein CJ-Team zu setzen, das eine gewisse Erfahrung mit großen Turnieren mitbringt – die Belastung auf einer DDM ist relativ hoch und die Abläufe, zum Beispiel in Bezug auf eine schnelle und effektive Jurorensetzung, sollten gut eingeübt sein. Wichtig ist aber auch Kreativität und Zeitmanagement bei der Themensetzung. Elf Themen, wie auf dieser DDM, lassen sich beim besten Willen nicht im letzten Moment aus dem Ärmel schütteln. Hier sehe ich auch das Potential für Juroren, die vielleicht noch nicht so viel Erfahrung mit großen Turnieren haben. Wenn sich jemand als guter Themensetzer erwiesen hat, spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, dass er seine Erfahrung mit großen Turnieren direkt auf der DDM sammelt – und sie dann im nächsten Jahr weitergibt.

AM: Unter euren Themen waren auch einige ungewöhnliche, etwa die sogenannten „First-Person-Motions“, bei denen man aus der Perspektive eines bestimmten Akteurs debattiert. Wolltet ihr damit eine neue Richtung einschlagen?
Andrea: Bei der Themenwahl gab es viele Kriterien, die uns am Herzen lagen. Eine bestimmte neue Richtung vorzugeben, gehörte aber nicht dazu. Uns war es wichtig, dass wir alle Arten von Themen dabei haben, die in der Saison eine Rolle gespielt haben. Dazu gehören neben normalen Antragsdebatten und Analysedebatten auch die First-Person-Motions. Eine solche gab es zum Beispiel im Finale der ZEIT DEBATTE Dresden. Wir hatten das Gefühl, dass diese Themenart im deutschen Raum relativ neu ist und der Umgang mit ihr noch geübt wird – es war uns daher wichtig, ein Beispiel zu geben, wie man unserer Meinung nach bei der Formulierung vorgehen sollte. Das Schwierige an der First-Person-Motion ist, dass in der Themen-Formulierung der Akteur sehr präzise definiert sein muss. Es reicht nicht aus, zu sagen, „dieses Haus“ sei ein Individuum. Man muss wissen, welche Werte das Individuum hat, um die Fragen der Debatte unter diese Wertvorstellungen subsumieren zu können und sich nicht erst darüber streiten zu müssen, welche Wertevorstellungen ein beliebiges Individuum haben würde. Es ist die wohl schwierigste Art von Themen: Man muss sehr stark logisch verknüpfen können, um zu überzeugen. Gerade deswegen sind First-Person-Motions so gut für eine DDM geeignet.

AM: Zu den Themen der DDM gab es sehr viel positives Feedback. Bei einem Thema haben manche jedoch Bedenken geäußert, weil es persönlich Betroffene geben könnte. Es ging darum, Frauen in Aufklärungskampagnen über Vergewaltigung auch über Risikoverhalten zu informieren, etwa Alkoholkonsum und Kleidung. Würdet ihr das Thema so noch einmal stellen?
Andrea:
Ja, genau so. Das heißt nicht, dass wir uns die Einwände nicht zu Herzen genommen und uns im Vorfeld nicht bereits darüber Gedanken gemacht hätten. Das Problem ist aber die Grenzziehung, denn es gibt sehr viele Themen, bei denen starke persönliche Betroffenheit innerhalb des Teilnehmerfelds wahrscheinlich ist. Dazu zählen zum Beispiel Themen zu Abtreibung oder Suizid. Es ist dennoch wichtig, über diese Themen zu reden, weil der Umgang mit ihnen gesellschaftlich höchst relevant ist. Entscheidend ist, ob man Betroffenen zumuten kann, beide Seiten zu vertreten. Bei unserem Thema war es für Betroffene unserer Einschätzung nach möglich, mit gutem Gewissen auf der Pro-Seite zu reden. Das konnten sie machen, indem sie sich etwa auf die Sicherheit der Frauen konzentrierten.

AM: Haben der Jurorentest und das Jurorenfeedback euch bei der Setzung geholfen?
Andrea:
Ja, sehr. Der Jurorentest diente vor allem dazu, uns selbst zu hinterfragen. Wir kennen manche Juroren gut, andere dagegen kaum. Man neigt dazu, diejenigen Juroren, die man persönlich gut kennt, uneingeschränkt positiv zu bewerten, wenn sie einmal ihre Qualität bewiesen haben, und Juroren, die man noch nicht gesehen hat, erst einmal mit Skepsis entgegenzutreten. Um das zu vermeiden, haben wir den Jurorentest „blind“ ausgewertet, also ohne die Identität der Juroren bei der Bewertung zu kennen. Das war eine sehr interessante Erfahrung, durch die wir sehr viele Informationen bekamen, auf welche möglichen Juroren wir zu achten haben. So konnten wir denjenigen, die gut abgeschnitten hatten, während des Turniers Chancen geben, sich zu bewähren, auch wenn sie uns persönlich vorher noch nicht aufgefallen waren. Das Feedback-Auswertungsverfahren, das Lukas [Haffert, Anm. der Red.] im Vorfeld der DDM organisiert hat, war dabei ebenfalls sehr hilfreich.

AM: Ist das Jurorenfeedbacksystem von der DDM auch für kleinere Turniere praktikabel?
Andrea:
Man braucht eine zusätzliche Person, die sich in das System einarbeitet und sich während des Turniers um die Eingabe der Daten kümmert. Das kann nach unserer Einschätzung nicht auch noch der Tabmaster machen. Das Jurorenfeedback kann die CJ darauf hinweisen, wenn ihre Einschätzung fehlerhaft ist.  Da gab es für uns einige Überraschungen, nach oben und nach unten. Es gibt natürlich Faktoren, die die Statistik nicht angemessen berücksichtigen kann. Zum Beispiel können Teams unterschiedliche Kriterien für gutes Feedback haben, unterschiedlich kritisch sein, und es gibt Runden, die zu jurieren undankbar sind. Das Jurierfeedback ist also kein Allheilmittel und darf auch nicht die einzige Informationsquelle für die CJ sein. Wenn ein Juror jedoch durchweg positives Feedback bekommt, ist das ein starkes Zeichen dafür, dass er einen wirklich guten Job gemacht hat. Ob man den Aufwand im Rahmen einer ZEIT DEBATTE bewältigen kann, kann ich schwer einschätzen.

andrea gau

(c) Henrik Maedler/Manuel Adams

AM: Im Oktober 2013 hast du dir beim Saison-Kick-Off mit den anderen CJ der Saison Maßnahmen zur Verbesserung der Jurierqualität überlegt. Die Ergebnisse hast du auf der Achten Minute vorgestellt. Am Ende der Saison wolltest du Bilanz ziehen – wie fällt die aus?
Andrea:
Die Bilanz möchte ich nochmal in einem eigenen Artikel ziehen, aber vorweg: Einige Vorschläge waren sinnvoll, andere nicht so sehr. Die Idee, das Jurorenfeedback weiterzugeben, half wirklich weiter. Das wurde  erstmals auf der ZEIT DEBATTE Frankfurt, dann auf der Nordostdeutschen Meisterschaft angeboten. Wenn DDM-Juroren ihr Feedback – anonymisiert natürlich – haben möchten, können sie sich per E-Mail an meisterschaft [at] debating [dot] de bei uns melden, wir lassen es ihnen dann zukommen. Auch sehr hilfreich war die Liste mit vielversprechenden Nachwuchsjuroren, die die CJ über das Jahr hinweg geführt haben. In dieser Saison waren oft nur wenige erfahrene Juroren auf Turnieren. Das bot die große Chance für den Nachwuchs, der dringend gebraucht wird, sich zu zeigen. Es würde mich freuen, wenn das in der nächsten Saison so weitergeführt werden kann.

AM: Du bist CJ vieler deutschsprachiger Turniere gewesen und hast in dem besagten Artikel stellvertretend für alle CJ der Saison gesprochen. Welche Tipps gibst du jungen Debattierern, die eine CJ-Karriere anstreben?
Andrea:
Es ist enorm wichtig, sich selbst beim Themenstellen zu hinterfragen. Insbesondere dann, wenn man noch kein Gefühl dafür hat, welches Thema alle erreicht und nicht nur etwas ist, das man selber gerne debattieren möchte. Generell sollte man immer daran arbeiten, die besten Themen für das Turnier zu finden, und nicht versuchen, nur seine eigenen Themen in der CJ-Diskussion durchzubringen: Nicht jede Fragestellung, die im Kopf interessant klingt, ist wirklich gut debattierbar. Es gibt sehr viele Kriterien, die ein Thema erfüllen muss: Es muss ausgewogen sein, über ausreichende Tiefe verfügen, dass es auch für die zweite Hälfte der Debatte debattierbar bleibt, und es muss die richtige Balance zwischen Originalität und Realitätsbezug finden. Nur dann ist es sowohl für Erfahrene spannend, als auch für Anfänger zugänglich.
CJ müssen eine Menge Engagement mitbringen und Zeit investieren. Man muss offen sein für die Anliegen von Teilnehmern und von Juroren, ihnen zuhören und versuchen, mit Kritik produktiv umzugehen. Denn die wird auf jeden Fall kommen, bei jedem Thema wird sich jemand finden, der darüber Kritik äußert und meistens sogar zu Recht, denn alles beachten kann man nie. So paradox es klingt: Die Kritik muss man sich zu Herzen nehmen und gleichzeitig auch nicht. Nur so kann man Einwände ernst nehmen, ohne sie sich zu nahe kommen zu lassen. Außerdem sollte sich ein guter CJ den Stress während des Turniers nicht anmerken lassen. Das ist etwas, woran ich selber noch arbeite.

AM: Was bleibt für dich nach der DDM?
Andrea:
Hoffentlich mein Jura-Examen, dem ich mich jetzt widmen werde. Und die schöne Erinnerung an eine DDM, die die Berliner großartig ausgerichtet haben – es ist ein Privileg, dabei helfen zu können, ein solches Turnier besser zu machen. Besonders dankbar bin ich Dessi und Micha. Wenn man wochenlang zusammenarbeitet, ist das Beste, was einem passieren kann, das mit Menschen zu tun, die man nicht nur professionell schätzt, sondern auch noch persönlich gern hat – ich habe noch nie so gerne um zwölf Uhr nachts über Themen und die Zulässigkeit von Gegenanträgen diskutiert wie für dieses Turnier. Auch deshalb war die DDM für mich eine Erfahrung, an die ich immer sehr gerne zurückdenken werde.

AM: Liebe Andrea, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jonas Huggins.

Mittwochs-FeatureDas Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Andrea Gau war Chefjurorin zahlreicher Turniere, darunter die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft 2013 und 2014 sowie die ZEIT DEBATTE Wien 2014, Marburg 2013 und Tübingen 2010. Sie ist mehrfache Turniersiegerin, etwa der ZEIT DEBATTEN Magdeburg 2012 und Aachen 2013. Sie war Vorstandsmitglied des Debattierclubs Johannes Gutenberg e.V. Mainz in der Amtszeit 2011/12 sowie der Berlin Debating Union 2007/08. Derzeit studiert sie Rechtswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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