“Schier alles scheint diesen Drei’n zu gelingen“ – Rückblick auf den Rheingötter-Debattierwettstreit

Datum: 16. Februar 2011
Redakteur:
Kategorie: Themen, Turniere

Rheinisch-kulinarisch startete der Rheingötter-Debattierwettstreit: Bei Bönnsch, Grünkohl und Kassler saßen bereits am Freitagabend viele der Teilnehmer in einer Bonner Gaststube zusammen. Für die, die noch nie im “Bundesdorf“ waren: Bönnsch ist das örtliche Pendant zum Kölsch und wird wie dieses in für Süddeutsche geradezu lächerlich kleinen Gläsern gereicht. Dementsprechend musste der Kellner ziemlich häufig hin und her flitzen, um die unter Debattierern weit verbreitete Zuneigung zum Gerstensaft zu befriedigen.

Kulinarisch ging es zunächst auch am Samstagvormittag im Bonner Juridicum weiter: Ein Frühstück mit Kaffee, Keksen, frischen Brötchen und Konfitüre erwartete die Debattierer von Nah und Fern: aus Hamburg, Zürich und Berlin, aus München, Bayreuth und Frankfurt, aus Mainz, Potsdam und Ingolstadt, aus Heidelberg, Münster und Mannheim. Alle waren sie der gereimten Einladung gefolgt:

“Auf, auf zum Kampf, ihr Ritter, am Rhein!
Schärft eure Waffen, sattelt die Pferde,
brecht auf nach Bonn, findet euch ein!
Wir rufen zusammen: Die Besten der Erde!“

Mit dieser Einladung haben Gudrun Lux und Volker Tjaden, Organisatoren und Chefjuroren des Rheingötter-Wettstreits, ihr poetisches Können bewiesen, um die Debattierszene mit viel Pathos ans Ufer des sagenumwobenen Flusses zu locken. Dennoch mussten einige schweren Herzens absagen, wie etwa Bernd Hoefer, das lebende Lexikon des deutschsprachigen Debattierens aus Kiel. Er tat dies in unnachahmlicher Art, ebenfalls gereimt. Das soll Euch nicht vorenthalten bleiben:

“Es gibt der Ritter nicht sehr viele
in der Holstenstadt tom Kyle,
die debattieren und weit reisen,
um sich im Wettstreit zu beweisen –
vielmehr war ich auf mancher Tour
der einzige auf weiter Flur,
der mit dem Nesselblatt im Schilde
einzog in südliche Gefilde.
(Denn wer von Kiel besieht die Welt,
das Rheinland auch zum Süden zählt.)
[…]
Indes: Mir wird es nicht gelingen,
im Chor der Götter mitzusingen.
Oder einfach und genauer:
Es geht nicht, tut mir leid, bedauer‘.“

Bernd vertröstete in seinem Gedicht die Ausrichter allerdings auf ein anderes Nordlicht, seinen Landsmann Benedikt Nufer, der das Turnier schließlich mit Isabelle Loewe und Daniel Grotzky gewinnen sollte:

Nesselblatt und Schleswigs Leu’n
werden drum in Bonn nicht sein
(es sei denn, Ritter Bene Nufer
bringt sie an des Rheines Ufer;
lebt er auch jetzt mehr an der Elbe,
ist unsre Heimat doch dieselbe).

Da die Achte Minute gerne ihren edukativen Auftrag wahrnimmt, sei hier noch erklärt, dass es sich beim “Nesselblatt“ um einen Teil des Schleswigschen Wappens handelt – ein stilisiertes Brennnesselblatt, Zeichen für Wehrhaftigkeit, jawohl. Wer jetzt zum Bildungsfernsehen zappen will, der darf hier noch rasch erfahren, wie denn der Name Rheingötter-Debattierwettstreit entstanden ist. Danach befragt, erklärte Gudrun: “Neben dem offensichtlichen – Bonn liegt am Rhein – gibt es eine weitere Geschichte hinter dem Namen: Als Volker und ich das Turnier planten, war Tim Richter schwer krank. Da wir drei bereits gemeinsam unter dem Teamnamen ‘Rheingötter‘ angetreten waren, wollten wir damit unsere Hoffnung ausdrücken, dass Tim beim gleichnamigen Turnier wieder gesund und munter dabei sein werde. Das ist gelungen und wir freuen uns sehr darüber!“

Noch nicht weggeschaltet? Gut, denn in Bonn gab es spannende und noch nie dagewesene Themen zu debattieren. In der ersten Vorrunde ging es um die Frage “Sollen wir Charter Cities bauen?“ Wer jetzt “Hä?“ denkt, hat nicht mitbekommen, dass Paul Romer, Volkswirtschaftler aus den USA, mit diesem Konzept im vergangenen Jahr für Furore gesorgt hat. (Für all jene gab es beim Turnier ein “fact sheet“ mit kurzen Hinweisen zum Thema.) Hintergrund: Ein Geberland in der so genannten Dritten Welt stellt unbewohntes Land zur Verfügung, eine neue Metropole wird geschaffen, Industriestaaten entwerfen eine Charta, die Einhaltung dieser Gesetze wird von eben jenen “guarantor“-Nationen der entwickelten Welt gewährleistet. Großer Kritikpunkt an dieser Idee in den Debatten war drohender Kolonialismus, doch auch Imperialismus und sogar das Wiederaufleben der Sklaverei wurden in einem Horrorszenario beschrien.

Die zweite Runde lud die Debattanten zu einer Zeitreise ein: “Wir schreiben den 10. November 1989. Soll Deutschland wiedervereinigt werden?“ Manche von uns können sich noch sehr gut daran erinnern, live vor dem Fernseher gesessen zu haben, um sehen zu müssen, wie David Hasselhoff damals auf der Mauer stand – “I’ve been looking for freeeeeeedom“ –, für die Jüngeren ging es in eine Zeit vor ihrer Geburt. Ausgangspunkt der Debatte sollte tatsächlich der Tag nach dem Mauerfall sein. Die Vorlage für das Thema der dritten Vorrunde lieferte ein Bibelgleichnis: “Sollen alle Arbeiter im Weinberg des Herrn den gleichen Lohn erhalten?“ Viele Regierungsteams münzten dieses um in eine Debatte um bedingungsloses Grundeinkommen, in anderen Räumen ging es um Leiharbeit oder Mindestlohn.

Pause, “break“. Abendessen im Hombach, einem Lokal in der Bonner Südstadt. Dort dann auch der nächste Break: Die Verkündung, wer es nach drei Vorrunden ins Halbfinale geschafft hat. Das waren Die Zwillinge vom Zillertal (Isa Loewe, Bene Nufer, Daniel Grotzky), Bonn A (Tim Richter, Stephan Schmitz, Ralf Lehnert), Studienstiftler (Wiebke Nadler, Lukas Haffert, Viola Lutz) und In einer lauen Sommernacht (Jan Lüken, Sven Hirschfeld, Frederic Ganner). Als Fraktionsfreie Redner waren dabei: Tom-Michael Hesse, Daniel Sommer, Florian Umscheid, Jan Papsch, Jana Gilke, Christoph Jäger, Willy Witthaut und Esther Reinert. Ja, richtig gezählt – acht freie Redner packten es ins Halbfinale. Die drei zuletzt genannten lagen punktgleich auf Platz sechs, eine Auslosung gewann zunächst Esther. Was keiner wusste: Die Chefjuroren sollten noch entscheiden, dass es pro Debatte vier freie Redner geben solle. Willy beispielsweise erfuhr es erst 13 Minuten vor Beginn des Halbfinals am nächsten Morgen. Doch bis dahin floss noch viel Wasser den Rhein hinab – und viel Alkohol in trockene Debattiererkehlen.

Am Sonntag sollte es spät weitergehen – “Wir sind ja keine zwanzig mehr“, hatten sich die Organisatoren gedacht –, das Halbfinale zum Thema “Soll Deutschland die Fußball-WM 2026 kaufen?“ startete erst um  13 Uhr. Das erlaubte den Partywütigen ausgiebig zu schlafen, selbst jenen, die erst um 7 Uhr morgens den Weg ins (eigene?) Bett gefunden hatten.

Und dann das Finale: Da hier anders als etwa bei ZEIT DEBATTEN keine Öffentlichkeit zugegen war, hatten sich die Chefjuroren ein selbstreferenzielles Thema ausgedacht: “Die Freien Redner verlassen den Raum und kommen nie wieder – sollen ZEIT DEBATTEN nur noch im Format BPS ausgetragen werden?“ Für ein OPD-Verbot sprachen sich die Zwillinge vom Zillertal aus, dem hatte Team Bonn A (A steht hier übrigens für alt) zu wenig entgegenzusetzen, im Formatstreit waren sie der Regierung unterlegen. Vor allem in Sachen Humor überzeugte das Team um Isa das Publikum: Sie selbst flirtete vom Rednerpult aus mit Jens Fischer – “Ich werde hier über Tetris reden, nur für dich, Jens!“ –, während Bene ein gewisses Maß an Selbstironie bewies: “Ich komme ja selbst immer ziemlich inhaltsschwer daher!“ Das Publikum toste und tobte und mischte sich mit Zwischenfragen in die Debatte ein: “Sind die Fraktionsfreien Redner nicht einfach nur billige Pausenclowns?“, wollte Thore Wojke wissen. Als bester Redner des Finales setzte sich schließlich Daniel Sommer durch (“Mein erster Punkt: BPS stinkt!“). Die Debatte gewonnen hat auch nach Meinung der Juroren Anette Purucker, Marcus Ewald, Stefan Hübner und Volker – Gudrun präsidierte – die Regierung. Damit erfüllten Isabelle, Benedikt und Daniel die Prophezeiung, wie sie in der Einladung geschrieben stand:

“Die Sieger, die Besten, man wird lang sie besingen,
denn keiner konnte gegen sie an.
Schier alles scheint diesen Drei’n zu gelingen,
sie haben in allem recht getan.“

apf / sol

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6 Kommentare zu ““Schier alles scheint diesen Drei’n zu gelingen“ – Rückblick auf den Rheingötter-Debattierwettstreit”

  1. „[…] aus Hamburg, Zürich und Berlin, aus München, Bayreuth und Frankfurt, aus Mainz, Potsdam und Ingolstadt, aus Heidelberg, Münster und Mannheim.“

    Da fehlt Wien! :-S

  2. anja sagt:

    Lieber Florian, völlig zurecht fehlt Wien in dieser Aufzählung: Die schlimme Niederlage von 1931 ins Feld zu führen, wie Christoph das im HF getan hat, zieht unweigerlich die Tilgung aus sämtlichen Geschichtsbüchern nach sich! (Lies: Die Autorin entschuldigt sich von ganzem Herzen für dieses fürchterliche Versäumnis.)

  3. Sarah sagt:

    Chemnitz/Tübingen fehlt auch, tststs. 😉 Aber: Schöner Text – und sowieso auch danke fürs Twittern, da hat man auch von zuhause noch das Gefühl, leibhaftig beim Finale dabei gewesen zu sein, auch wenn dem nicht so war…

  4. Tim Richter sagt:

    Hach, das ist ja geil zu lesen: Mit Hoffnung auf eine gute Genesung und vollständig wiederhergestellte Gesundheit von mir habt ihr, Gudrun und Volker, den Titel „Rheingötter“ ausgelobt. Das wußte ich ja gar nicht. Also, ihr beiden, um es in diese Worte zu packen: DANKE! HERZLICHEN DANK DAFÜR! Da freut es mich umso mehr, daß ich mit zwei Debattier-Urgesteinen im Finale reden und mit dem Zillertaler Zwillingen viel Spaß haben durfte. Die Freude, die ihr alle mir damit – auch im Nachhinein – bereitet, verwöhnt und mein Herz und meine Seele! Obacht Isa, Bene, Daniel und Daniel: Geht gut mit dem Titel um – er spendet Freude und Gesundheit! Gudrun und Volker, ich bleibe dabei: DANKE AN EUCH! Für das Turnier und die Idee!

  5. Jörn sagt:

    Also, wenn Wien noch extra aufgeführt wurde, muss auch Unna genannt werden. 😉

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