Debattiersport und die Wahrheit

Datum: 22. Februar 2017
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature

Über das Verhältnis dieser beiden Aspekte macht sich heute Jakobus Jaspersen Gedanken.

Lügen auch gerne: Pinocchios - Quelle: pixabay.com

Lügen auch gerne: Pinocchios – Quelle: pixabay.com

Riskiert man diese dunklen Tage einen Blick in die Zeitung, so wird man mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einen Artikel stoßen, welcher sich mit Donald Trumps besorgniserregender Beziehung zur Wahrheit befasst. Oft bildet dies für den Autor dann das Sprungbrett, um sich in die philosophischen und sozialpsychologischen Abgründe zu stürzen, welche sich zwischen Postmoderne, Postfaktischem Zeitalter und sonstigen verposteten Welterklärungsmodellen auftun. Das werde ich an dieser Stelle allen Beteiligten ersparen. Stattdessen möchte ich über die Beziehung des Debattanten zur Wahrheit reden – eine Beziehung, welche manchmal leider nicht allzu weit von der eines Trump entfernt ist. Auch wir verbiegen, ignorieren, leugnen und konterkarieren in Debatten mitunter die Wahrheit, wenn uns dies dem ersehnten Debattensieg oder der begehrten Höchstpunktzahl einen Schritt näherbringt.

Dabei gibt es selbstverständlich Abstufungen bezüglich der Gewalt, welcher der Wahrheit in Debatten absichtlich und unabsichtlich angetan wird. Ich kann beispielsweise in einer Debatte um das Kopftuchverbot in Deutschland behaupten, dass das Tragen oder Nichttragen des Kopftuchs für nahezu alle hier lebenden Muslime eine der wichtigsten religiösen Vorschriften darstellt. Dies ist nicht wirklich wahr, aber eben auch nicht völlig falsch. Anders sieht es aus, sollte ich behaupten, dass das Tragen des Kopftuchs im Koran explizit vorgeschrieben sei. Denn dies ist schlicht und nachprüfbar unwahr. Beide Aussagen können mir unter bestimmten Umständen – nämlich, wenn die Juroren sich von ihnen überzeugen lassen – in der Debatte weiterhelfen. Trotzdem wäre es von mir sowohl unredlich, als auch unsportlich wider besseres Wissen solche Behauptungen als Wahrheit in den Raum zu werfen.

Natürlich gehört es zu den Aufgaben des Debattanten, die Welt in einem für seine Seite günstigen Licht darzustellen. Allerdings wird meiner Meinung nach spätestens dann eine Grenze überschritten, wenn wissentlich wahre Fakten geleugnet oder ‚alternative Fakten‘ behauptet werden. Auf dem Weg dorthin gibt es Graustufen wie das absichtliche Verschweigen wichtiger Kontextualitäten („Migranten sind krimineller als Einheimische.“) oder das Einbringen von Argumentationsketten, von welchen man selber weiß, dass sie im Grunde gut verbrämter Unfug sind („Wir sollten in der Eurozone Bargeld verbieten, um Schwarzmärkte unmöglich zu machen.“). In letztere Kategorie gehören auch Beispiele, von denen man genau weiß, dass sie unpassend oder irreführend seien („Bretton Woods zeigt, dass feste Wechselkurse zu Wirtschaftswachstum führen.“). Entscheidend ist dabei wohlgemerkt nicht der tatsächliche Wahrheitsgehalt solcherlei Ausführungen, sondern ob zumindest der Debattant selbst sie für wahr hält.

Lügt nicht gerne: Der Autor Autor Jakobus Jaspersen - © privat

Lügt nicht gerne: Der Autor, Jakobus Jaspersen – © privat

In einer besseren Welt würden all die genannten kleineren und größeren Unwahrheiten sowohl dem gegnerischen Team als auch den Juroren auffallen und entsprechend geahndet werden. Sich darauf zu verlassen, ist allerdings im Debattieren genauso illusorisch wie in der wirklichen Welt. Unser aller Wissensstände bestehen hauptsächlich aus Lücken und wir werden deshalb immer wieder in die Situationen kommen, in welchen Juroren und Redner bewusst bezüglich empirischer Fakten getäuscht werden können.

Ich habe den Eindruck, dass nicht wenige der Auffassung anhängen, dass gutes Lügen in solchen Fällen irgendwie auch in den Werkzeugkasten des Debattanten gehören solle. In meiner Debattierlaufbahn habe ich mehrmals Feedback dieser Art gehört und mitunter lasse ich mich ja leider Gottes dazu hinreißen, Feedback zu beherzigen. So habe ich dann Debatten gewonnen mit unsinnigen, aber gut klingenden Argumentationen. Ich habe Debatten gewonnen, weil die Gegenseite schlicht nicht wusste, dass die Faktenlage meine Argumentation nicht stütze. Ja ich habe sogar Debatten gewonnen, in welcher die Gegenseite dies zwar wusste, der Juror fälschlicherweise aber eher meinem Team geglaubt hat. Das ist nicht die Art und Weise, auf welche ich Debatten gewinnen möchte und dies ist ganz sicher nicht die Art und Weise, wie irgendwer Debatten verlieren will. Ein aufrechteres Verhältnis zur Wahrheit käme insgesamt der Freude am Debattieren zu Gute. Ganz zu schweigen davon, dass einige von uns ja tatsächlich nicht nur gewinnen, sondern auch inhaltlich etwas aus Debatten mitnehmen wollen.

Wir alle sollten deshalb als Redner dazu angehalten sein, nach bestem Wissen zu debattieren und nicht absichtlich Unwahrheiten zu verbreiten oder Wahrheiten der Gegenseite zu leugnen. Erscheinen einem diese Vorgehensweisen unabdinglich für den Sieg zu sein, so kann man vielleicht auf einen solchen Sieg auch mal verzichten. Idealerweise natürlich sollte Wahrheitsliebe auf dem Weg zum Sieg nicht hinderlich, sondern vielmehr förderlich sein. Um diesem Ziel näher zu kommen, sollten wir als Juroren Unwahrheiten bestrafen, auch wenn diese der Gegenseite in der Debatte womöglich nicht aufgefallen sind. Analog sollte belohnt werden, wenn eine Seite die Wahrheiten ihrer Kontrahenten anerkennt und mit ihnen redlich umgeht. Diese Praxis wird zwar schon jetzt eingefordert, doch der Debattenalltag sieht meiner Erfahrung nach leider oft anders aus.

Ich hege die Überzeugung, dass gute Themen einem stets auch wahrheitskonforme Wege zum Sieg bieten. Debatten sollten sich inhaltlich nicht daran entscheiden, welche Seite überzeugender fabulieren kann, sondern daran, welche Seite auf Basis der empirischen Wirklichkeit besser zu argumentieren in der Lage ist. Wir nehmen für uns in Anspruch, mit dem Debattiersport einen rationalen und faktenbasierten Diskurs zu fördern. Gerade in der heutigen Zeit ist dies mit Sicherheit ein lobnenswertes Ziel. Und wenn wir anderen erzählen, dass wir dieses Ziel ernsthaft verfolgen, so wäre es doch schön, wenn dies auch der Wahrheit entspräche.

Jakobus Jaspersen/lok.

Mittwochs-Feature

Jakobus K. Jaspersen erreichte das Finale der DDM 2016 und gewann das Elbe Open 2016. Er ist seit Beginn 2015 in der Rederei Heidelberg aktiv, wo er zwischenzeitlich als Vizepräsident fungierte. Die EUDC 2016 war sein erstes internationales Turnier. An der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg studiert er Global History.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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3 Kommentare zu “Debattiersport und die Wahrheit”

  1. René G. (Heidelberg) sagt:

    Wer sich in Debatten für die Wahrheit interessiert ist doch verloren…

    Schon Sokrates und Platon erkannten, dass die Rhetorik ein Feind der Wahrheit und des echten Erkenntnisgewinns ist. Sie verstanden, dass es nur um Persuasion statt Wissen, um Wahrscheinlichkeiten statt Wahrheit geht.
    Doch wo es keine Wahrheit gibt, da kann auch keine Lüge existieren.

    Sokrates: Muss nun nicht, wo gut und schön geredet werden soll, des Redenden Verstand die wahre Beschaffenheit dessen erkennen, worüber er reden will?
    Phaidros: So vielmehr habe ich immer gehört, lieber Sokrates, wer ein Redner werden wolle, habe nicht nötig, was wahrhaft gerecht sei zu lernen, sondern nur, was der Volksmenge, die zu entscheiden hat [Debattierdeutsch: „die JurorInnen“], so scheint, ebenso auch nicht, was wahrhaft gut sei oder schön, sondern nur, was so scheinen werde; denn hierauf gründe sich das Überreden, nicht auf der Sache wahre Beschaffenheit. […]

    Sokrates: Wenn also der Redekünstler, unwissend über das Gute und Böse, einen ebenso beschaffenen Staat sich vornimmt und ihn zu überreden sucht, nicht etwa einen Esel als ein Pferd anpreisend, sondern ein Übel als ein Gut, und, nachdem er die Meinungen des Volkes kennengelernt, ihn nun überredet, Übles zu tun statt des Guten, was für eine Frucht, glaubst du, werde die Redekunst dann ernten von dem, was sie gesät?
    Phaidros: Eben keine sonderliche.

    1. Simon V. sagt:

      Sokrates ist ein ästhetisches Argument, hängt aber von der Glaubwürdigkeit seiner Person, seiner Überlieferung sowie vom Kontext ab.

      Sokrates selbst, benutzt eine deminuitive Rhetorik. Rhetorik, die nicht vorgibt Rhetorik zu sein, und deshalb überzeugen kann. Natürlich hat er sich nicht von der Gunst des Publikums, des Volkes leiten lassen. Es ist aber vollkommen unbegründet davon auszugehen, dass andere Redner oder Redekünstler dies automatisch auch tun. Also hat nicht die Redekunst einen Hang, ein Auditorum zu täuschen, sondern diejenigen, die Wahrheit nicht für einen Selbstwert halten.

      Sokrates selbst wurde nicht von einer Diktatur, sondern einer Demokratie zum Tode verurteilt. Und da findet sich die perfide Wahrheitsdefinition von Sokrates. Für ihn hängt sie (die demokratische Entscheidung) nie von der Wahrheit ab, selbst intersubjektiv gefundene Wahrheiten nicht. Daher könnte man Sokrates als Rednerischer Kritiker getrost vergessen, da er weder einen guten Grund noch genügend Autorität vorweist um gegen Redekunst etwas zu vorzubringen.

  2. Jannis Limperg sagt:

    Eine tangentiale Anmerkung zu diesem sehr lesenswerten Artikel: BP und OPD sanktionieren erkennbar wahrheitswidrige Ausführungen unterschiedlich, was zu entsprechend unterschiedlichen Anreizstrukturen führt.

    In BP beschädigt eine Unwahrheit nur den Teil der Rede, der explizit von ihr abhängt; andere Argumente — oder sogar das gleiche Argument, soweit es unabhängig von der falschen Behauptung bestehen kann — werden nicht tangiert. Außerdem verbietet der „average intelligent citizen“-Standard je nach Lesart die Sanktionierung von als falsch erkannten Aussagen, soweit ein ‚Durchschnittspublikum‘ diese für wahr halten würde. OPD erlaubt JurorInnen hingegen, den durch eine erkennbare Unwahrheit entstandenen Schaden für die Glaubwürdigkeit des/der RednerIn insgesamt mitzubewerten, sodass bereits relativ kurze Passagen Anlass zu einer berechtigten Vermutung von Inkompetenz oder gar Böswilligkeit — und damit signifikantem Punktabzug — geben können, wenn sie nur offensichtlich genug falsch sind. Deshalb ist die Versuchung, Unwahrheiten (oder deren kleinen Bruder: mit großer Überzeugung vorgetragenes Halbwissen) einzustreuen und zu hoffen, dass das Panel sie einem abnimmt, in BP größer.

    Marion hielt übrigens auf dem letzten Jurier-Think-Tank einen ebenfalls interessanten Vortrag zu ungefähr diesem Thema. Das Video existiert, ist aber, soweit ich weiß, noch nicht öffentlich. Ich muss mal schauen, wo die Nachbereitung gerade hängt.

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