Das Debattieren Diversifizieren

Datum: 29. September 2021
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature

Das 21. Jahrhundert stellt uns alle vor viele Herausforderungen. Neben dem Klimaschutz, für den die Debattierszene strukturell wenig machen kann, sind es hauptsächlich Digitalisierung und Diversifizierung. Dank der Pandemie haben wir aber schon gute digitale Strukturen, die nur noch weiter ausgefeilt werden müssen. Doch an der Diversifizierung mangelt es noch.

Wenn uns das letzte Jahr aber eins gezeigt hat, dann dass Diversifizierung und Anti-Diskriminierung etwas sind, das es immer zu bewältigen gibt und nicht nur, wenn es gerade in der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Der Debattierclub Potsdam hat dabei dieses Jahr schon einen kleinen Fortschritt gemacht. Denn der Verein hat einen Vorstand gewählt, welcher nur aus FLINT*A Menschen (das steht für Frauen, Lesben, Intersexuell, Nonbinär, Transgender, Agender) besteht und diesem die Aufgabe gegeben, sich aktiv für die Diversifizierung und gegen diskriminierende Strukturen im Club und in der Szene einzusetzen. Damit es damit nicht bei leeren Worten bleibt, gibt es jetzt bei uns einen Arbeitskreis dafür. Dort wird nicht nur geschwatzt und Kekse gegessen, sondern wir haben auch schon zwei Maßnahmen erarbeitet. Mit diesem Artikel wollen wir einen Dialog darüber anstoßen. Wir wollen mit der ganzen Szene darüber reden, was wir brauchen, um beim Debattieren ein weites Spektrum an Menschen in ihrer Lebensrealität anzusprechen.

Bei hybriden Vorstandssitzungen schmieden wir Pläne für kommende Clubabende und tüfteln an unserem
Diversitätskonzept. (v.l.n.r.: Vera, Eva, Susanna, Oli, Annemarie)

Unsere erste Initiative besteht darin, eine Plattform für inklusive Motions aufzubauen- und zwar mit euch allen zusammen. Dort können wir in Teamarbeit Motions sammeln, die sich mit der Lebensrealität von marginalisierten Menschen auseinandersetzen, diese als Akteure berücksichtigt, oder die einfach nur keine normativen Annahmen treffen. Ein Beispiel dafür wäre: DHW den Handel mit allen Ländern beenden, in denen es homophobe Gesetze gibt. Wichtig bei dem Motionformulieren ist es, zu beachten, dass diese nicht so geframt sind, dass eine Seite zu feindlichen Äußerungen gezwungen wird. Inklusive Motions formuieren kann jede*r – auch auf unserer Plattform, einem RiseUp Pad, denn es gibt keinerlei Zugangsbeschränkungen. Cool wäre es, wenn nur ernsthafte und einigermaßen ausgeglichene Motions gepostet werden. Dadurch kommen hoffentlich viele verschiedene (kritische) Perspektiven zusammen. Wir werden das Pad natürlich auch moderieren und bei Bedarf unpassende Motions entfernen. Und hier geht’s zur inklusiven Motionplattform. Wenn wir das Debattieren diversifizieren wollen, dann müssen wir zusätzlich in den Debatten Safer Spaces garantieren. Dies wird aber gefährdet, wenn, und sei es unbewusst, exkludierende Äußerungen wie „Frauen sind Personen mit zwei X-Chromosomen“ getätigt werden. Diese Äußerung trifft vor allem für Transpersonen sehr unangenehm. Natürlich gibt es wundervolle Equity Teams, die sich dafür einsetzen, dass sich jeder wohlfühlt. Aber nicht immer werden verletzende Äußerungen auch zu ihnen gebraucht sondern heruntergeschluckt, gerade wenn sie nur geringfügig verletzend sind. Auch dem können inklusive Motions durch ihr Framing und die Sensibilisierung für die Probleme anderer Gruppen entgegenwirken. Ein Beispiel dafür, wie Motions exkludierend sein können, sehen wir zum Beispiel, wenn auf deutschsprachigen Turnieren Motions zur deutschen Innenpolitik gestellt werden. Dabei gehören Österreich und die Schweiz ebenso zur deutschen Debattierszene. Es ist logisch, dass sie nicht so tief in der Materie stecken, was sie wiederum in der Debatte ungerechterweise behindert.

Manch eine Person wird sich jetzt genötigt sehen, zu diskutieren, ob wir überhaupt diverser und inklusiver werden sollten. Aber diese Frage ist immer ein Schlag ins Gesicht aller marginalisierten Menschen. Zudem bietet die Diversifizierung eine großartigen Chance für das Debattieren. Wer debattiert, will sich mit unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzen, die Werte unserer Gesellschaft abwägen, im Licht verschiedener Metriken Dinge bewerten und schlussendlich auch die Realität ein kleines Stückchen weiter frei kratzen. Je mehr Themen und Perspektiven einfließen, desto besser! Die meisten Clubs werden auch die Schwierigkeit kennen, neue Mitglieder zu rekrutieren – wird das Debattieren ansprechender für eine große Anzahl von Personen gestaltet, kann dem auf jeden Fall entgegengewirkt werden.

Unser zweites Ziel ist es, Klassismus, also Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft entgegenzuwirken (Achtung, nicht Klassizismus – wir wollen hier nicht Gebäude mit Säulen verurteilen). Denn wenn nicht gerade eine Pandemie kursiert und das Aufklappen des Laptops nicht mehr reicht, um in den Debattenraum zu kommen, kostet so eine Turnierteilnahme „ein bisschen was“. Für Studierende mit wenig finanziellen Ressourcen ist das nicht immer stemmbar, und in jedem Fall abschreckend. Das ist sowohl schade wie unfair, denn gerade die vielen aufeinanderfolgenden Debatten gegen unterschiedliche Teams bieten doch die besten Lernmöglichkeiten. Und nicht zu vergessen die lebhaften Stunden, die man vor und nach den Debatten gemeinsam verbringt und die ein oder andere Freundschaft schließt, während die Spannung des Wettbewerbs in der Luft liegt. Unser Club ist in dieser Hinsicht gut aufgestellt: wir erhalten finanzielle Unterstützung durch die Universität Potsdam, sodass nur ein verschwindend geringer Eigenanteil notwendig ist, um auf Turniere zu fahren. Das ist möglich, weil wir als studentische Initiative Teil des Universitätslehrangebots sind. Studierende können das Debattieren als Seminar wählen, lernen bei uns zu argumentieren und müssen am Ende des Semesters eine Reflexion schreiben sowie mindestens neun Mal dabei gewesen sein. Dann wandern die entsprechenden Leistungspunkte in ihre Leistungsübersicht. Im Gegenzug übernimmt die Universität anfallende Kosten für Turnierteilnahmen und Materialien. Dafür muss am Anfang des Semesters ein Finanzplan mit den voraussichtlichen Kosten erstellt werden. Am Ende des Semesters werden dann die tatsächlichen Ausgaben erstattet. In den Jahren 2018 bis 2020 haben wir so jedes Jahr zwischen 1.300 und 1.900€ von der Universität Potsdam zur Verfügung gestellt bekommen, was je nach Semester zwischen 50 und 80% unserer gesamten Einnahmen ausmacht und ca. 20 Turnierteilnahmen abdeckt. Wir möchten euch ermutigen, auch an eure Unis heranzutreten und eine mögliche Kooperation vorzuschlagen. Um diese zu gestalten gibt es unzählige Möglichkeiten. Klar ist das nicht wenig Aufwand, aber es lohnt sich definitiv sowohl für die Nachhaltigkeit und Diversität des Clubs als auch für seine Mitglieder! Ihr könnt übrigens auch auf den AStA eurer Uni zugehen, der hat ein Budget für vielfältige Projekte und unterstützen euch sicherlich immer gern.

Auch bei der Mitgliederversammlung des VDCH wurde über das Thema Diversität reflektiert. Eine Anregung war dabei, bei Turnieren darauf zu achten, dass die COs verschiedenen Personengruppen angehören. Dadurch kann besser darauf geachtet werden, dass keine Ausgrenzung stattfindet und die unterschiedlichen Perspektiven ermöglichen eher, dass sich alle wohlfühlen.

Das Debattieren zu diversifizieren hat großes Potenzial, großen Nutzen – ist aber auch eine große Herausforderung. Wir sind bisher einige kleine Schritte gegangen. Aber nur zusammen können wir den Weg zu einer diversen Debattierszene meisten, um besser die Gesellschaft abzubilden sodass sich alle willkommen fühlen. Die Avantgarde des Debattieren wird zusammen jede Herausforderung meistern! Bei Fragen zur Zusammenarbeit mit dem AStA, der Kooperation mit der Universität oder zu Diversitätsbemühungen allgemein kommt sehr gerne auf uns zu!

Ihr könnt uns unter der E-Mail Adresse vorstand [dot] wortgefechte [dot] potsdam [at] gmail [dot] com erreichen.

Wir wünschen euch gutes Gelingen!

 

Vorstand Wortgefechte Potsdam/cal.

 

Eva Kreft ist die Präsidentin des Debattiervereins Wortgefechte Potsdam. Sie ist seit 2020 Mitglied im Club und Teil des Arbeitskreises Diversität.
Vera Schmidt ist amtierende Vizepräsidentin des Potsdamer Clubs und möchte gerne dazu beitragen, dass die Debattierenden die Rhetorik-, Präsentations- und Argumentationsfähigkeiten verbessern. Sie debattiert seit 2019.
Oli Timm ist Beisitzend im Vorstand vom Wortgefechte Potsdam. Zudem ist er noch bei der Gruppe UPride aktiv, welche sich um die Belange queerer Studis in Potsdam kümmert, als auch im Arbietskreis Diversität.
Susanna Wirthgen debattiert seit 2019 und ist seit 2020 Schatzmeisterin des Wortgefechte Potsdam.
Annemarie Kleinert ist Beisitzende des Potsdamer Debattierclubs Wortgefechte e.V. Für sie ist es das zweite Jahr im Vorstand. Annemarie schätzt vor allem den Teamgeist und die Fairness beim Debattieren.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

 

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12 Kommentare zu “Das Debattieren Diversifizieren”

  1. Allison (MZ) sagt:

    Zur Finanzierung und Turnierförderung möchte ich hinzufügen: Wir haben in MZ über kostenpflichtige externe Seminare (z.B. an Schulen, bei Unternehmen vor Ort, Vereinen) immer wieder, teilweise sehr regelmäßig, über 1.000€ im Jahr erwirtschaftet und konnten dadurch ebenfalls zwischen 30% und 50% (für die erste Turnierteilnahme bei einem DDL-Turnier auch die gesamten Kosten) der Turnier- UND Fahrtkosten übernehmen. Das Förderkonzept wurde (und wird) jährlich je nach finanzieller Ausstattung des Clubs angepasst. Andere Einnahmequellen waren bspw. Waffelverkäufe auf dem Campus oder Fördermitgliedschaften.
    Zusammen mit ggf. Unterstützung durch die Uni gibt es sicherlich für jeden Club Wege, ein wenig Geld zu verdienen, um allen Mitgliedern eine Teilnahme zu ermöglichen ^^

    1. Witthaut (MZ) sagt:

      Ergänzend dazu: Kooperation mit außeruniversitären Partner*innen. Wir haben zum Beispiel mit Arbeit und Leben (Unterorganisation von Gewerkschaften) kooperiert 🙂

  2. Sven (Tübingen) sagt:

    [Disclaimer: Diesen Kommentar schreibe ich alleine, als Privatperson und nicht in meiner Funktion als Mitglied des VDCH-Vorstands.]

    Liebes Potsdam, ich finde es toll, dass ihr euch für eine buntere Szene einsetzt! Eine buntere Szene bedeutet mehr Perspektiven bedeutet bessere Debatten. (Für mich gehören zu einer bunten Szene übrigens auch mehr Nicht-Studierende und mehr konservative Menschen dazu, aber darum soll es hier gar nicht gehen.) Ich finde daher eure Finanzierungs-Tipps für sozialverträglicheres Turnierfahren und auch eure Kreation eines Pools mit Themen zu marginalisierten Gruppen positiv.

    Wo ich mein (Verständnis-)Problem mit habe, ist erstens eure Definition von „inklusiven Motions“ (außerhalb des Aspekts, über marginalisierte Gruppen zu gehen). Und zweitens die in meinen Augen mitschwingende Implikation, dass alle anderen Motions „weniger inklusiv“ / „nicht inklusiv“ wären.

    – Ihr definiert: Inklusive Motions schließen niemanden aus. Als Negativbeispiel bringt ihr den Ausschluss österreichischer Teams bei Themen deutscher Innenpolitik. Als Positivbeispiel nennt ihr hingegen „Handelsboykott homophober Staaten“. Aber schließt das nicht auch Menschen aus, die sich mit internationaler Politik / homophoben Gesetzen nicht auskennen? Schließt ein Thema zu „regretting motherhood“ nicht diejenigen Personen aus, die keine Mutter werden können? Schließt ein Thema zu AAPI nicht diejenigen aus, die diesen Begriff nicht kennen? Klar kann man das alles mit Factsheets lösen– ich sehe nur keinen strukturellen Unterschied zwischen den Beispielen.
    – Ihr definiert: Inklusive Motions zwingen nicht, diskriminierende Haltungen einzunehmen. Ich persönlich kann mir auch keine Chefjury vorstellen, die sagt: „Cool, lass mal die Opposition was RICHTIG Diskriminierendes vertreten!“. Was ich mir schon eher vorstellen kann: Fast alle Debatten verlangen von den Teams, Personengruppen und ihre Bedürfnisse gegeneinander abzuwägen– und im Zweifel eine Gruppe über die andere zu gewichten. Das ist aber meines Erachtens nicht sofort Diskriminierung, sondern das Grunddilemma von Politik. Ansonsten müsste man nach gleicher Logik sagen, „regretting motherhood“ scheidet als Thema aus, weil die Regierung glückliche Mütter bzw. Mutterschaft schlecht reden muss.
    – Ihr definiert: Inklusive Motions beruhen nicht auf normativen Grundannahmen. Aber beruht nicht jedes Thema auf normativen Grundannahmen, weil einfach jede sprachliche Formulierung normativ ist? Und sei es nur die Grundannahme, dass es zu DIESEM spezifischen Thema (im gleichen Umfang) Pro- und Contrargumente gibt? Sind die Grundannahmen bei eurem AAPI-Thema nicht z.B., dass AAPI ein sinnvoller Sammelbegriff / Anglozentrismus potenziell problematisch ist? Wenn ihr nun aber meint, euer Problem sind FALSCHE bzw. negative Grundannahmen– wer definiert, was eine RICHTIGE bzw. gute normative Grundannahme ist?

    Versteht mich nicht falsch: Ich stoße mich wie gesagt überhaupt nicht an eurem Grundanliegen, auch nicht an eurer Motionsammlung, sondern einzig der Definition (nur) dieser Motions als „inklusiv“.

    1. Vorstand Wortgefechte Potsdam sagt:

      Lieber Sven,

      vielleicht haben wir uns an dieser Stelle nicht ganz klar ausgedrückt – unser Ziel ist weder, inklusive Motions als hochwertiger zu deklarieren, noch dass marginalisierte Gruppen in jeder Debatte schwerer gewichtet werden. Unser Ziel ist lediglich, inklusive Motions als eigene Sparte zu etablieren, wie beispielsweise Wirtschaftsmotions. Dass du dich am Namen „inklusive Motion“ reibst ist nach deiner Argumentation nachvollziehbar. Wir haben die Formulierung mit Bezug auf die eher seltener vertretenen Perspektiven gewählt, die mehr Menschen durch das Thematisieren vielfältiger Lebensrealitäten inkludieren. Aber schlag gerne einen anderen Namen vor 🙂

      Zur Frage zum strukturellen Unterschied inklusiver Motions: ihr kritisiert, dass sie eine spezifische Perspektive einnehmen und damit nicht jeder viel über das jeweilige Thema weiß – also eher exkludiert als inkludiert wird. Uns geht es hier aber nicht um die einzelne Motion, sondern um die Gesamtheit der Motions. Eine Motion zum Thema Transgender spricht nicht jede Person in ihrer Lebensrealität an, sondern nur eine kleine Gruppe von Personen – aber eine Gruppe, deren Perspektive viel seltener aufgegriffen wird. Unser Anspruch ist also nicht, dass jede einzelne Motion jedem gleich zugänglich ist (das wäre schön, ist aber nicht möglich), sondern dass die Gesamtheit der Motions ein breiteres Spektrum von Personen anspricht sodass Perspektiven eingenommen werden, die sonst nicht so oft zu Wort kommen und dass sich potenziell mehr Menschen angesprochen und wohl fühlen.

      Klar, normalerweise zwingen Motions nicht dazu, diskriminierende Positionen einzunehmen. Wir sehen damit auch kein Problem in der Debattierszene, aber wollten diesen Punkt nur nochmal erwähnen. (Unter diskriminierender Haltung verstehen wir übrigens eine abwertende Haltung. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen abzuwägen zählen wir nicht per se dazu, nur wenn dies strukturell geschieht und mit einer Abwertung verbunden ist.)

      Mit normativen Annahmen meinen wir gesellschaftlich normative Annahmen. Beispiele sind Annahmen, dass alle Frauen irgendwann Kinder bekommen oder alle Männer sich für Technik interessieren.

      Ich hoffe, dass das nochmal Klarheit bezüglich unserer Position geschafft hat!

  3. Jan E. sagt:

    Einem Verein, der es als Fortschritt feiert, dass keiner heterosexueller cis-Mann Teil des Vorstandes ist, wäre ich bestimmt nicht beigetreten. Darin offebart sich schon, dass dieser Inklusvitätsbegriff eher ein Oxymoron ist und er den liberalen Grundgedanken, der dem dialektische Prinzip des Debattierens eigentlich trägt, fundamental widerspricht.

    Ich kann allen Mitgliedern des Verbandes nur empfehlen, sich einen solchen Inklusvitätsbegriff gerade nicht zu eigen zu machen, es sei denn, man möchte noch stärker in seiner eigenen Blase leben und debattieren.

  4. Tim R. (Rederei) sagt:

    Zustimmung zu Jan.

    Außerdem scheint mir die Äußerung „Manch eine Person wird sich jetzt genötigt sehen, zu diskutieren, ob wir überhaupt diverser und inklusiver werden sollten. Aber diese Frage ist immer ein Schlag ins Gesicht aller marginalisierten Menschen.“ eines der schönsten Beispiele von Meinungszensur zu sein das mir bisher untergekommen ist. Schließlich ist eurer primäres Anliegen nicht Diversität sondern die Forderung nach einer stärkeren (Über)Repräsentation bestimmter Motiontypen.

    Und hier ist mir die Prämisse für euer erstes Ziel komplett unklar. Nach meinen letzten Jahren auf Turnieren würde ich einmal grob schätzen, dass ungefähr 10-20% aller Themen bereits in die von euch gewünschte Richtung gehen. Es gibt zum Beispiel vermutlich allein mehr Feminismusthemen im Debattieren als Themen zum Klimawandel. Gleiches gilt im Vergleich zur Außen- oder Wirtschaftspolitik.
    Genauso gibt es häufig Motions die sich mit Queeren Themen befassen (zum Beispiel letztens erst bei den Hochhausdebatten).
    Ich würde aber behaupten, dass eine große Mehrheit der Menschen (auch im Debattieren) die oben angesprochenen Bereiche wie Klimawandel, Außenpolitik oder Wirtschaft als wichtiger einstufen (Diversifizierung oder ein ähnlicher Begriff hat es wenn ich mich nicht irre in den letzten 20 Jahren kein einziges Mal in die Top 12 der wichtigsten Themen des Politbarometers geschafft) und auch zum Debattieren kommen weil sie über Politik oder Wirtschaft debattieren möchten.

    Ich habe schon so häufig Interessenten bei uns im Club erlebt die u.a. nicht wiederkamen, weil sie mit Themen von denen ihr euch noch mehr wünscht nichts anfangen konnten.
    Ich denke der Einstieg ins Debattieren ist schon schwer genug. Ich möchte in aller Deutlichkeit davon abraten ihn noch zu erschweren, indem sich die Debattierthemen immer weiter vom gesellschaftlichen Diskurs wegbewegen.

  5. Barbara (HH) sagt:

    Das Debattieren zu diversifizieren und mehr Personen, gerade jungen Menschen, den Zugang dazu zu ermöglichen, ist denke ich ein Ziel, dem sich jeder hier verschreiben würde, insofern volle Zustimmung auch von mir dazu. Ich will in keiner Weise die Wichtigkeit oder Legitimität eures Anliegens in Abrede stellen, euch gegen Diskriminierung und Marignalisierung von Personen einzusetzen, die auf irgendeine Weise nicht dem vermeintlichen „Mainstream“ entsprechen.

    Dennoch teile ich die zuvor in den Kommentaren bereits geäußerten Bedenken und glaube, dass euer Inklusivitäts- und Diversitätsbegriff weniger inklusiv und divers ist als ihr suggeriert.

    Deutlich machen möchte ich dies an einer Motion, die ich – zugegebenermaßen als kritischen Test – bereits zweimal unter der Kategorie „Klassismus“ in eure Sammlung geschrieben habe und welche nunmehr bereits zweimal – mutmaßlich von euch? – entfernt zu sein scheint. Diese Motion lautete sinngemäß „DH bevorzugt eine Debattierszene, in welcher das Verständnis von Begriffen wie ‚Ableismus‘, ‚PoC/AAPI‘ oder ‚Klassismus‘ nicht zur Grundbedingung gleichberechtigter Teilhabe und Anerkennung gemacht wird“.

    Ich kann mir vorstellen, warum ihr (?) gerade diese (Meta)Motion als „unpassend“ empfinden mögt und sie daher anscheinend tatsächlich aktiv wegmoderiert (beim ersten Löschen hielt ich ein Versehen noch für möglich). Denn sie erzwingt eine Debatte über genau die Prämisse, die eurer Position zugrunde zu liegen scheint und derer ihr euch so sicher scheint, dass jede Debatte über sie abwegig oder gar „feindlich“ wäre: Nämlich die Prämisse, dass eure Position für umfassende Inklusion und Gleichberechtigung steht.

    Ich halte das für eine sehr gewagte Prämisse. Die von euch genannten Anliegen sind ohne jeden Zweifel wichtig. Sie betreffen aber auch – wie bereits in den früheren Kommentaren angemerkt wurde – sehr komplexe Diskursfelder und Probleme, die großen Teilen der Bevölkerung und auch erheblichen Teilen der Studierenden eher fremd oder jedenfalls in ihren Details unvertraut sein dürften. Nun mögt ihr darauf sagen: „Ja, deshalb wollen wir diese Diskursfelder und Probleme bekannter machen!“ Dagegen ist auch nicht das Geringste einzuwenden.

    Mir scheint indes, dass ihr weit mehr wollt als diese nur bekannter zu machen. Ihr bedient euch einer Sprache, die jene, die euer Anliegen (noch) nicht umsetzen, jedenfalls de facto als Aggressor darstellen (z.B. sprecht ihr von „feindlichen Äußerungen“, „exkludierenden Äußerungen“, „verletzenden Äußerungen“, „Ausgrenzung“). Nun möchte aber natürlich niemand (oder jedenfalls kaum jemand) als Aggressor gelten; es ist ein sozial ziemlich unerwünschtes Verhalten: Einen Aggressor gilt es in aller Regel zu ändern und zur friedlichen Kooperation zu bringen, sei es durch Sanktionen oder durch Aufklärung; einem (erwachsenen) Aggressor ist entweder sein sehr fragliches Sozialverständnis oder aber jedenfalls seine eigene Unwissenheit über soziale Normen kritisch vorzuhalten.

    Genau durch dieses – bewusste oder unbewusste – Framing lauft ihr aber meines Erachtens Gefahr, eine ganz erhebliche Zahl an Personen und Perspektiven aus der Debattierszene auszuschließen. Wie auch zuvor bereits angemerkt worden ist, setzt ihr ein enormes Wissen und Problembewusstsein voraus, was in dieser Form in großen Teilen der Bevölkerung so schlicht nicht vorhanden sein dürfte. „Klassismus“ umfasst letztendlich weit mehr Probleme als nur die Frage, welche Hobbies ich mir am Wochenende leisten kann (sei es nun live vor Ort oder digital via eine hierfür stabil genuge Internetverbindung mit einem hinreichend geeigneten Endgerät in einem Raum, der mir den ganzen Tag alleine zur Verfügung steht). Es geht vielmehr auch um soziale sowie politische Prägung und in einem ganz besonderen Maße um Bildung, Habitus und Ausdrucksform.

    Viele in diesem Sinne anders als ihr (wir?) sozialisierte Personen dürften sich durch den impliziten Vorwurf, dass sie Aggressoren seien, ihrerseits erheblich verletzt fühlen, da eine entsprechende Aggression in keiner Weise in ihrer Absicht gelegen haben dürfte. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass diese Personen einer Debattierszene, wie sie von euch idealisiert wird, lange erhalten bleiben würden. Denn es steht zu erwarten, dass sie sich unwohl, unverstanden und ungerecht behandelt fühlen werden. Wie ihr es erreichen wollt, dass sich solche Leute bedingungslos „willkommen fühlen“ werden, finde ich rätselhaft.

    Nun mögt ihr natürlich sagen, dass dies ein notwendiges Opfer ist bzw. erforderlich ist, um „Safe Spaces“ in den Debatten für die von euch genannten Betroffenengruppen zu garantieren. Dem mag sogar so sein.

    Es zeigt meines Erachtens aber eben auch sehr klar, dass ihr mitnichten die Prämisse für euch in Anspruch nehmen könnt, mit eurem Anliegen für umfassende Inklusion und Gleichberechtigung für alle zu stehen. Noch weniger könnt ihr meines Erachtens mit dem Weg der (absoluten) Safe Spaces in Debatten das Ziel erreichen, „den Weg zu einer diversen Debattierszene [zu] meistern, um besser die Gesellschaft abzubilden sodass sich alle willkommen fühlen“.

    Um es erneut zu sagen: Ich finde es großartig, dass wir diese Probleme thematisieren, dass es Equity Teams gibt und wir uns Gedanken darüber machen, wie wir das Debattieren inklusiver für alle gestalten. Ich möchte nur mit Nachdruck dafür werben, dass wir *“alle“* nicht aus einer Blase heraus, sondern tatsächlich mit einem Blick für die gesamte Gesellschaft definieren.

    1. Ela (BDU) sagt:

      Also ich hab die Motion einmal gelöscht. Wenn jeder etwas rein schreiben kann, kann auch jeder das wieder rausnehmen. Ich dachte, jemand trollt einfach. Ich finde das schon ziemlich unangebracht, anstatt in den Kommentaren den durchaus gerechtfertigten Einwand, dass solche Begriffe links und zu einem gewissen Grad universitär sind zu diskutieren, solche Meta Motions, die die Sprache der Autor*innen des Artikels verhöhnen in eine gut gemeinte Motion Sammlung reinzustellen. Was sollen solche „kritischen Tests“ bringen und warum sind sie offenem Diskurs über echte Probleme mit solchen Normen überlegen?
      Trotzdem war es nicht meine Aufgabe und ich hab mich einfach in dem Moment geärgert und danach gehandelt. Also Entschuldigung Barbara, ich hätte es nicht löschen sollen.

    2. Vorstand Wortgefechte Potsdam sagt:

      Liebe Barbara,

      mit Ausdrücken wie „verletzende Äußerung“ wollten wir lediglich die Problematik entsprechend hervorheben, aber niemandem böse Absichten unterstellen.
      Das große Ziel ist ja, eine offene Atmosphäre durch das Auseinandersetzen mit mehr Perspektiven zu erreichen, damit daraus ein Klima der Akzeptanz und des Verständnisses erwächst. Wir wollen niemanden anklagen oder Aggression unterstellen – im Gegenteil, wir sind von der offenen und kooperativen Grundeinstellung aller Debattierenden überzeugt. Es tut uns Leid, wenn das anders aufgefasst wurde.
      Natürlich brauchen wir beim Debattieren inklusiver Motions eine offene, lernfreundliche Atmosphäre, in der Menschen nicht schräg angeschaut werden, wenn sie sich nicht gut auskennen. Aber die sollte es immer und bei jeder einzelnen Debatte geben – egal ob jemand zu Theorien der Marktwirtschaft oder der Ungleichheit nicht bewandert ist.

  6. Thomas (Halle) sagt:

    Volle Zustimmung für Barbara.
    Ich habe noch unter einer ideologisch deutlich anders ausgerichteten Hegemonie aktiv debattiert, zumindest die längste Zeit. Da war schon der Begriff „Hegemonie“ für manche zu schwer verdaulich gewesen.

    Aber zum Thema:
    Ich stimme Barbara völlig zu. Die Absichten, die Zielstellung ist normativ durch und durch desiderabel. Eine sozialstrukturell und sozio-demographisch pluralere Debattier-Community ist natürlich erstrebenswert.
    Aber der Weg dorthin, sozusagen die Maßnahmenebene, da gibt es sicherlich Dissens.

    Denn hier läuft man Gefahr, Inklusion durch Exklusion schaffen zu wollen und so eine Dialektik muss nicht automatisch funktionieren, sondern kann eine exklusive Struktur durch eine andere ersetzen.

    Angesprochen wurde: Die verwendete Sprache, der Ideolekt ( ;)) ist durch und durch akademisch und exkludiert. Natürlich kann man einwenden, dass das Debattieren sowieso akademisch ist, aber da übersieht man, dass diese Sprache für Eingeweihte vor allem auch Bildungsaufsteiger/ Studierende aus nicht akademischen Schichten eher abschreckt, denn anzieht. In diesem Sinne werden dann wieder nur sehr exklusive und spezifische Vertreter*innen aus Minderheiten angesprochen: Die queeren Studierenden aus priviligierten Klassenlagen, aber nicht Arbeiterkinder (mit oder ohne Migrationshintergrund). Da sieht man schon, dass diese angebliche Inkkusion auf dem echten linke Auge, auf dem der sozialen Frage, blind ist. Das sieht man auch an der Reaktion auf Barbaras „Test“. Und, diese Begriffe sind durch und durch akademischer Ideolekt. Wer Kontakt hätte zu nicht-akademischen Menschen (die zudem außerhalb des progressiven Lagers sind), wüsste das. Soviel zum Thema „Bubbles“.

    1. Vorstand Wortgefechte Potsdam sagt:

      Lieber Thomas,

      das ist ein guter Hinweis. Natürlich soll nicht die eine durch die andere exkludierende Struktur ersetzt werden. Das wird kaum jemand wollen – wir natürlich auch nicht. Damit die Debattierszene tatsächlich offener werden kann haben wir unsere Ideen ja hier, für alle zugänglich und kommentierbar präsentiert und freuen uns über konstruktives Feedback sowie weitere Ideen, die Szenen offener zu gestalten!

  7. Nicolas F. (Ex-Göttingen) sagt:

    Wo ist eigentlich der gute alte VDCH-Verteiler wenn man ihn braucht…

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