Jurieren – eine komplexe Angelegenheit
Diesen Mittwoch stellt Sven Bake, VDCH-Beirat für Jurierseminare, im Mittwochs-Feature eine Sammlung an Lernmaterial für Jurierende unterschiedlichen Erfahrungsstands vor.
Durch die Aufnahme der letzten Jurierworkshops existiert inzwischen viel verfügbares Anschauungsmaterial und im Rahmen der letzten Jurierseminare habe ich ein sehr großes Interesse am Jurieren wahrgenommen. Deshalb möchte ich im Folgenden eine Übersicht vorstellen, welche Möglichkeiten man hat, sich als Juror*in zu verbessern.
Als Struktur habe ich die drei wesentlichen Jurierpositionen bei Turnieren (Nebenjuror*in, Hauptjuror*in, Chefjuror*in) aufgegriffen. Natürlich lässt sich inhaltlich nicht alles klar abgrenzen. Viele der Fähigkeiten sind übertragbar und sowohl in den späteren als auch schon in den früheren Kategorien nützlich.
1. Nebenjuror*in:
Zumeist werden weniger erfahrene Jurierende erst einmal einige Turniere als Nebenjurierende gesetzt. Nebenjuror*in (englisch: „Wing“) zu sein hat eigentlich kaum eine Zugangsbeschränkung. Im Zweifel kann man sich aus der Jurierdiskussion herausnehmen und damit auch aus der Ergebnisfindung. Dennoch gehört einiges dazu, darin gut zu sein: Man sollte eine gewisse Regelkenntnis mitbringen, die einem die faire Bewertung der Debatte ermöglicht, und sich produktiv in die Jurierdiskussion einbringen. Man hat aber keine leitende Funktion, muss also kein Feedback geben und auch keine sehr spezifischen Regelkenntnisse haben.
Allgemein gilt: Übung ist in jeder Jurierposition einer der größten Schlüssel zum Erfolg – wenn man viele Debatten juriert und das auch reflektiert, verbessert man sich. Jurieren bedeutet erstmal für Jede*n Überforderung, allein die Gewöhnung und die Automatisierung vieler Prozesse hilft schon ungemein.
-> Juriert auf Turnieren und im Club und holt euch Feedback dazu!
-> Nutzt die Gelegenheit der vom Verband organisierten, digitalen Jurierseminare! Hier gibt es nicht nur Input, sondern auch die Möglichkeit, betreut zu jurieren und Fragen zu stellen.
Im OPD-Format:
OPD-Regelwerk lesen! Gerne öfter, z.B. vor jedem Turnier! https://www.streitkultur.net/debattieren/opd-service/
Die folgenden Videos anschauen:
Ein recht umfassendes Jurierseminar für AnfängerInnen: https://www.youtube.com/watch?v=raoj_NeXnoQ
OPD-Jurierseminar „Regeln und Einzelredepunkte“: https://www.youtube.com/watch?v=rmP1yyzi0Y8
OPD-Jurierseminar „Teampunkte“: https://www.youtube.com/watch?v=-cu76TLvbI0
Da in OPD die Richtigkeit der eigenen Punktevergabe (Eichung) eine sehr wichtige Rolle spielt, sollte man den aktuellen Artikel zur Bepunktung von Reden lesen: https://www.achteminute.de/20230329/chop-chop-ran-an-die-eichung/
Im BPS-Format:
Das „Regelwerk“ des deutschen BPS ist immer der aktuellste Jurierleitfaden der letzten in BPS abgehaltenen DDM, ihn sollte man lesen:
https://www.achteminute.de/20220418/jurierleitfaden-der-ddm-2022-veroeffentlicht/
Die folgenden Videos anschauen:
BPS-Jurieren für Anfänger*innen:
Basics: https://www.youtube.com/watch?v=dNnkwv_G2ug
Jurierdiskussion als Nebenjuror*in: https://www.youtube.com/watch?v=EHPcGc_7SH4
Etwas Fortgeschrittener und spezifischer:
Effektives Jurieren: https://www.youtube.com/watch?v=cnYb2ZtuNls
BPS-Jurieren hat aufgrund seiner Internationalität die Vorteile, dass es einige englische Quellen gibt. Diese sind, wo ich es für sinnvoll halte, ebenfalls eingefügt:
Judging at EUDC: Reaching the right call: https://www.youtube.com/watch?v=B3gLCTOxFDY
2. Hauptjuror*in
Hauptjurierende geben nicht nur Feedback, sondern leiten auch die Debatte und die Jurierdiskussion. Als Hauptjurierende (englisch: „Chairs“) werden also Personen gesetzt, denen die Chefjury eines Turniers zutraut, diese Dinge besonders gut zu können. Das ist gerade am Anfang natürlich eine Spekulation, weshalb man in der Transition von Nebenjuror*in zu Hauptjuror*in oft eine weitere erfahrene Person im Panel hat, die Feedback geben kann und auch im Zweifel helfend zur Seite steht. Das Vertrauen der Chefjurys bekommt man am ehesten durch Erfahrung und Breaks und indem man in der Jurierdiskussion als Wing wiederholt positiv auffällt (Feedback durch andere Jurierende).
Natürlich kann es auch Glück oder Pech sein, ob man auf einem Turnier die Chance bekommt. hauptzujurieren oder gar weiter in die KO-Runden zu kommen (breaken). Auf Turnieren, in denen der Jurierendenpool sehr stark besetzt ist, wird man als wenig erfahrener Chair vermutlich eher weniger oft hauptjurieren, oder vielleicht nur in geschlossenen Runden. Auch der Break ist dann erschwert. Wenn einen die Chefjury noch nicht kennt, ist es eben auch schwerer, einem das Vertrauen auszusprechen. Verzagt also nicht, wenn es ein paar Turniere dauert, bis ihr dieses Ziel erreicht und das erste mal hauptjuriert.
Um dieses Ziel zu erreichen und generell besser zu werden, gilt:
-> Viele der Tipps, die ich bei Nebenjurierenden genannt habe, gelten immer noch. Ihr müsst diese Dinge einfach noch besser und zum Teil automatisch beherrschen.
-> Im Zweifel lieber das Regelwerk einmal zu oft lesen. Ihr seid dann dafür verantwortlich, die Details der Regelauslegung zu kennen und auch Ausnahmefälle in der Debatte auflösen zu können.
-> Auch hier macht es Sinn, oft zu üben (eigener Debattierclub, Turniere, aufgezeichnete Debatten) und Jurierseminare zu besuchen.
Im folgenden Material, welches ich für Chairs für angemessen halte:
Im OPD-Format:
Jurierseminare für Fortgeschrittene/Hautjurierende:
Jurierdiskussion & Teamkategorien: https://www.youtube.com/watch?v=0UJaxp_I3Oc
Wertschätzendes und konstruktives Feedback: https://www.youtube.com/watch?v=uUDc1oaCYGE&list=PL7PsqNT9-R8690RLTgBpKOsCMtCLxYS-Z
Linke Kategorien gut bewerten und feedbacken: https://www.youtube.com/watch?v=NwJ_xdsF_d0
Rechtfertigungsfeedback in OPD: https://www.youtube.com/watch?v=pd0gqv1iO-Y
OPD-Beispieljurierung mit Feedback: https://www.youtube.com/watch?v=TLt51YQwqBg
Vorurteilsfreies Jurieren: https://www.youtube.com/watch?v=gpuooYEMr-4
Im BPS-Format:
Jurierseminare für Fortgeschrittene/Hauptjurierende:
Judging – Advanced Training: https://www.youtube.com/watch?v=g8En6RPpu2w
Hauptjurieren: Jurierdiskussion und Feedback: https://www.youtube.com/watch?v=frUzDvZgAfU
How to Chair: https://www.youtube.com/watch?v=rinbzKy4Tgk
Judging Debates: How to become a better Chair: https://www.youtube.com/watch?v=hS-8nxPbDJM
Jurieren in Finalrunden: https://www.youtube.com/watch?v=28inZqTGkd4
Probabilistisches Jurieren: https://www.youtube.com/watch?v=qZKcQJjAyfI
Hier hat das Korean WUDC Judge Training Program eine Reihe von spezifischen Videos: https://www.youtube.com/@koreawudctrainingprogram629/videos
3. Chefjuror*in:
Der kleinste und exklusivste Kreis der Jurierenden ist die Chefjury. Jedes Turnier hat zwischen 2 und 4 Chefjurierende. Ein kleineres Turnier z.B. der Deutschen Debattierliga meist 2 oder 3, Campus-Debatten eher 3 oder 4. Die Deutschsprachigen Debattiermeisterschaften der letzten Jahre hatten ein Bewerbungsverfahren, bei dem ein vom Veranstalter eingesetztes Gremium nach einer Feedbackphase die Chefjurierenden ausgewählt hat. Die Auswahlkomission der DDM 2018 beschreibt hier ausführlich wonach sie dabei sucht: https://www.achteminute.de/20171006/berufungsverfahren-fuer-die-chefjury-der-ddm-2018-vorgestellt/
Hier, in diesem Artikel, will ich vor allem auf die dort genannten „Debattierkompetenzen“ eingehen. Zunächst zur „Hohen Jurierkompetenz“. Von den „Debattierkompetenzen“ ist diese diejenige Kompetenz, die ihr auch ohne schon chefjuriert zu haben, bei anderen Turnieren gezeigt haben könnt. Deshalb ist sie als Auswahlkriterium für Jurierende, die zum ersten mal chefjurieren, besonders wichtig.
Die beschriebene “Hohe Jurierkompetenz” zeigt sich Ausrichtern z.B. durch:
-> Viele Breaks bei Turnieren (am besten in dem entsprechenden Format)
-> Jurierpreise
-> hat oft hauptjuriert
-> hat in Finalrunden hauptjuriert
-> hat an Chefjurierworkshops teilgenommen
Es gibt außerdem natürlich viele andere Faktoren und auch andere Wege, wie Verantwortliche hohe Jurierkompetenz wahrnehmen.
Eine wichtige Funktion des Chefjurierens, ist das Hauptjurieren von Debatten auf einem Turnier, deshalb gelten, um sich dafür zu qualifizieren, alle vorgenannten Tipps weiter. Man sollte die Regeln der Formate so gut beherrschen, dass man auch im Zweifel bei Unklarheiten zum Regelwerk diese fair und dem Regelwerk entsprechend, auslegen kann. Man ist im Zweifel auf dem Turnier die letzte Instanz.
Voraussichtlich wird es dieses Jahr noch ein Chefjurierseminar geben, dessen Aufzeichnungen natürlich dann auch der Szene zur Verfügung stehen werden.
Allgemeines Material:
Interview: How to be a chief adjudicator: https://www.youtube.com/watch?v=5pWFC0R5__Y
Guide to being a Chief Adjudicator: https://drive.google.com/file/d/1iLPm_JJcJw2tEZ1Wl0TMZTDwgb7JluIB/view?usp=sharing
Chefjurieren benötigt ein sehr starkes Themenverständniss, weil man entsprechend Themen auswählen muss, die den Anforderungen von Turnieren genügen. Hierzu gibt es eine Reihe von Ressourcen:
Anmerkungen zur Themenfindung & Themensetzung:
https://www.youtube.com/watch?v=I21zag1B3P0
https://www.achteminute.de/20151104/fehler-bei-der-themensetzung/
https://www.achteminute.de/20230215/eine-theorie-des-sweetspottings/
https://docs.google.com/document/d/1-wjqx93d4wPKfquO6ddQj1Izjx3Ud98mtHOiIDFC-LM/edit
https://docs.google.com/document/d/1ASz0DoGvog62wkR9R0iGPb0LcZH7sKTQ8Eoc6576HWs/edit#heading=h.a8g737mruhyn
Artikel zu Casefiles:
https://www.achteminute.de/20171108/casefiles-veroeffentlichen-ein-experiment/
https://www.achteminute.de/20150422/sollten-chefjuries-casefiles-zu-den-turnierthemen-anlegen-und-veroeffentlichen-jonathan-scholbach-ueber-das-pro-und-contra-von-casefiles/
Übersicht veröffentlichter Casefiles:
https://docs.google.com/spreadsheets/d/1iQXqyTT4lBaWt0WrmNVYOyyRMPaCkFZJHX9pq7fzx00/pubhtml
https://www.achteminute.de/20171108/casefiles-veroeffentlichen-ein-experiment/
Ausgeglichenheit von Themen des Boddencups: https://www.achteminute.de/20180905/nachbetrachtung-der-ausgeglichenheit-der-vorrundenthemen-des-boddencups/
Artikel zu Infotexten: https://www.achteminute.de/20221123/factsheets-das-kleingedruckte-des-debattierens-abschaffen/
Übersicht über bereits gestellte Themen: https://hellomotions.com/
Deutsche Quellen:
https://www.achteminute.de/
https://www.streitkultur.net/generator/
https://www.debattierclub-saar.de/debattenthemen/
Setzung von Jurierenden: https://docs.google.com/document/d/1juH_Mqbp2LpqvUjBK9UZOPdLK0Ih8ibJNUShFSrIxd4/edit
Viele dieser Ressourcen entspringen den Jurierthinktanks, auch hier kann man weiteres Material auf der Achten Minute oder auf dem Jurierqualität Youtube Kanal finden: https://www.youtube.com/@jurierqualitat3713
Grundsätzlich hilft es, sich im Debattieren fortzubilden, ein besseres Verständnis hilft euch sowohl bei der Bewertung der Debatte, als auch beim Feedback dessen.
Ressourcen dafür gibt es zahllose, hier eine Zusammenfassung von Joschka Braun: https://www.achteminute.de/20200325/online-debattierressourcen/
Bitte beachtet, dass gerade ältere Quellen eventuell von veralteten Regelwerken ausgehen! Die nachfolgend genannten Quellen sollten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels recht aktuell sein, aber im Zweifel gilt das aktuellste Regelwerk.
Sven Bake debattiert seit 2016 in Würzburg. Bei der dortigen Colloquia Herbipolensia e.V. ist er Ehrenmitglied. Als Ausrichter betreute er die SDM 2019, die WDM 2021 und die Röntgen-Cups 2021 und 2022. Seit 2019 ist er Beirat für Jurierseminare des Verbands der Debattierclubs an Hochschulen e.V.. Als Chefjuror verantwortete er unter anderem die Themen der Campus-Debatte Hannover 2022, des Ironmanturniers 2020 und des ZdJ-Turniers 2022. Als Redner gewann er 2022 das Nikolausturnier und wurde Westdeutscher Vizemeister. Aktuell ist er Mitglied der OPD-Regelkommission.
Das Mittwochs-Feature: Mittwochs veröffentlicht die Achte Minute ab 10.00 Uhr oftmals ein Mittwochs-Feature, worin eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.
Sven Bake/lok.